Bauhaus – Geometrie der Kälte

Zeitloser Alptraum zum Wohnen

Bauhaus – Geometrie der Kälte

Es gibt Orte, die beeindrucken durch ihre Form – und verstören durch ihr Wesen. Das Bauhaus in Dessau ist für mich genau ein solcher Ort. Als Fotograf finde ich hier eine Bühne der Linien, Raster und Wiederholungen. Ein Paradies für die Kamera: Klarheit, Symmetrie, Funktion. Die Kettenzüge vor den Glasfassaden wirken wie fein austarierte Noten in einer Partitur aus Licht und Stahl. Die Leuchten an der Decke – ein strenges Koordinatensystem mit Leuchtpunkten wie Zählmarken in einer Maschinenhalle. Und die Fassaden: rational, unbestechlich, mit dem Charme eines normierten Möbellagers. Mein Sucher jubelt – mein Herz aber schweigt.

Denn während meine Kamera Kompositionen feiert, bleibt in mir ein Rest von Fremdheit. Ich bewundere das Bauhaus als Idee, als Experimentierfeld des Neuen – aber ich könnte hier nicht wohnen. Nicht leben. Die Ästhetik der Funktion lässt wenig Raum für das Zufällige, das Schräge, das Warme. Zwischen all den perfekten 90-Grad-Winkeln und modularen Heizkörpern fragt man sich irgendwann: Wo ist der Mensch geblieben? Mir scheint, Walter Gropius und seinen Mitstreitern waren Nüchternheit und Funktionalität wichtiger als menschengerechtes Wohnen mit Heimatgefühl.

In den Meisterhäusern schien mir das Licht zu klinisch, das Volumen zu leer, die Räume zu kühl und unpersönlich. Ich vermisste das Überflüssige – jenes, was kein Zweck rechtfertigt, aber Leben atmet. Ich fragte mich, haben die Bauhaus-Meister da wirklich gewohnt, ohne in Depressionen zu verfallen?

Vielleicht liegt darin das wahre Erbe des Bauhauses: Es ist der edelste Ausdruck einer sozialistischen Utopie – und zugleich ihr kühlstes Denkmal. Sozialisten bauen keine Schlösser. Sie bauen Funktionen. Sie bauen Gleichheit. Sie bauen – wenn’s ganz schlimm kommt – Wellblechhütten oder Plattenbauten. Und wenn es gut läuft: sowas wie das Bauhaus.

  • Schlösser feiern Macht. Das Bauhaus feiert Maß.
  • Schlösser sind schöne Besuchsmagneten, ansonsten überflüssig. Das Bauhaus wollte einst zweckmäßig sein.

Aber wer würde freiwillig in einem Zweck wohnen wollen?

Und doch: fotografisch zieht mich das Bauhaus schon in seinen Bann. Vielleicht gerade, weil ich mich dort nicht wohlfühle. Vielleicht, weil ich im Blick durch den Sucher den kalten Rationalismus in sinnliche Ordnung übersetzen kann. Und weil manche Orte uns nicht wärmen müssen, um gute Bilder hervorzubringen – sie müssen nur ehrlich sein. – Das Bauhaus strahlt jedenfalls ehrliche Kälte aus.

Geodaten (GoogleMaps): 51° 50′ 21.2″ N – 12° 13′ 38″ O

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