Deutschland ist unterm Strich die reichste Nation Europas … zumindest monetär. Und doch stellen alles in allem stets die Skandinavier – und meistens die Dänen – das glücklichste Volk, auch wenn das diesmal nach dem aktuellen World Happiness Report 2023 die Finnen sind und Dänemark auf Platz 2 gerutscht ist. Die Spitzengruppe, die glücklichsten Länder also, sind heuer:
- Finnland
- Dänemark
- Island
- Israel
- Niederlande
- Schweden
- Norwegen
- Schweiz
- Luxemburg
- Neuseeland
- Österreich
- Australien
- Kanada
- Irland
- USA
- Deutschland
…
Das freut mich für die Nordlichter, fuchst mich aber für uns Deutsche. Schließlich folgen wir erst auf Platz 16 – und wir haben uns um drei Plätze verschlechtert, seit die Ampelregierung am Ruder ist.
Am monetären Reichtum kann es also nicht liegen. Zudem haben die Dänen eine kürzere Lebenserwartung als wir Deutschen, im Schnitt fünf Jahre. – Und Dänemark hat eine höhere Selbstmordrate, die man sich nicht recht erklären kann. – Evtl. hat das etwas mit der Winterdepression zu tun. Es ist im Winter dort schon oft arg und lange grau und dunkel. Man weiß es nicht genau. Also Inflation und Arbeitslosigkeit haben in Dänemark in dem dichten, sozialen Netz jedenfalls keine große Bedeutung (obwohl dort das Hire-and-Fire-Prinzip weitaus häufiger angewendet wird als bei uns). Aber niemand muss dort wirklich einen tiefen Absturz befürchten.
Was bei vielen Deutschen wie ein Schimpfwort klingt – und meist auch so gebraucht wird – ist in Dänemark das Ideal: der Wohlfahrtsstaat. Die Dänen machen es den Reichen nicht allzu leicht mit Rücksichtslosigkeit unanständig reich zu werden – ohne dabei aber Reichtum verhindern zu wollen. Dafür kann aber in Dänemark auch niemand wirklich verarmen. Häufige Arbeitgeberwechsel sind in Dänemark normal und niemand gerät in Panik, wenn Personal abgebaut wird und die Kündigung winkt. – Ergo: Wer das Morgen nicht fürchten muss, kann das Heute glücklicher genießen.
Kurz gefasst: Dänemark bekämpft erfolgreich die Armut, nicht aber – wie Deutschland – die Armen.
Dänen sind anders
Die Dänen leben in einer beneidenswerten Mischung aus Gewissenhaftigkeit und Ungezwungenheit – und darauf sind sie stolz. Über das ganzjährige rot-weiße Fahnenmeer müssen wir nicht sprechen. Beim Anblick des “Dannebrog”, vor einem klaren, blauen (natürlich dänischen) Himmel, geht einem Dänen einfach das Herz auf. Ich denke, diese innige Haltung haben die Deutschen zu ihrer Fahne schon mal nicht – und traut sich wohl auch kaum einer zu haben.
Däne zu sein betrachten Dänen als Privileg und sie werden nicht müde aller Welt zu der Einsicht zu verhelfen wie wunderbar Dänemark ist (womit sie ja auch recht haben). Das ist für sie aber kein Anlass damit anzugeben. Im Gegenteil: Im starken Kontrast zum dänischen Selbstbewusstsein, Däne zu sein, versuchen sie nur zu gerne, ihr Licht “unter den Scheffel” zu stellen. Doch Vorsicht!!! Das ist reine Koketterie. Sie ahmen damit das Understatement der Briten nach. Dann sagen sie schon mal ggü. Klugscheißern “jaja, wir dummen Dänen”. Aber das ist nicht etwa ernst gemeint, sondern reines “fishing for compliments”: Sie erwarten natürlich, dass man sich beeilt, sofort das Gegenteil zu postulieren… und wehe wenn nicht!
Die Dänen sind ein friedliches Volk, wenn man sich die auch dort aktiven Mitglieder der verfeindeten Rockerbanden „Hell’s Angels“ und „Banditos“ wegdenkt. Den Deutschen begegnen sie manchmal mit leichter Verachtung (wohl, weil sie das “Jante-Gesetz” weder kennen noch beachten, dazu weiter unten mehr) und mit den Schweden haben sie eher Mitleid, auch wenn keiner so recht sagen kann warum. Den Engländern ggü. zeigen sie eine wahre Engelsgeduld. Angesichts eines angetrunkenen Arsenal-Fans auf dem halben Weg, einen Laternenmast zu besteigen, fordert ihnen das höchstens ein Kopfschütteln ab. Ein Deutscher wäre dafür womöglich verhaftet worden. Sei’s drum.
Dänische Toleranz hat Tradition. Schon 1967, als es in Deutschland noch sehr prüde und verstaubt zuging, wurde in Dänemark Pornografie erlaubt und ggü. Homosexuellen war man ohnehin schon immer offen gewesen. Das bewiesen sie 2009 mit der zweiten Schwulenolympiade unmissverständlich. Intern können aber Dänen ganz schön frech zueinander sein: Die Kopenhagener behaupten den breiteren, regionalen Dialekt Jütlands nicht zu verstehen (OK, Hamburgern und Niederbayern wird es ähnlich gehen). Oft spotten sie auch über die Bewohner der Halbinsel, besonders auf die Bürger Århus’, Dänemarks zweitgrößte Metropole, hat man es dabei abgesehen. Es gibt wohl mindestens so viele Århuser-Witze wie in Deutschland Ostfriesen- oder Österreicher-Witze.
Die Jütländer sehen die Kopenhagener wiederum eher als arrogante Großstädter und Schnösel. Alles in allem also ein ganz normales Volk, mit ganz normalen Menschen, mit normalen Stärken und Schwächen. Aber macht das Normale glücklich? – Wir werden noch sehen!
Um den dänischen Volkscharakter zu verstehen muss man die beiden Begriffe „Hygge“ und „Janteloven“ kennen und noch wichtiger auch verstehen.
Hygge
Das deutsche – für mich übrigens sehr schöne – Wort „Gemütlichkeit“ (die Amis haben es sogar als Lehnwort mangels englischer Entsprechung, aufgenommen) kommt dem dänischen „Hygge“ zwar nahe, ist aber nicht deckungsgleich. „Hygge“ ist mehr, viel mehr! Die deutsche Gemütlichkeit bezieht sich eher auf die räumliche Umgebung; eine Kneipe, ein warmes Bett können gemütlich sein. „Hygge“ hat eher etwas mit dem Verhalten der Menschen zu tun. Es ist die Kunst angenehme Intimität zu schaffen, ein Gefühl von Freundschaft, Heiterkeit, Zufriedenheit. „Hygge“ bedeutet meist mit Familie und Freunden zusammen zu sein, gemeinsam zu essen und zu trinken und die Feste zu feiern wie sie fallen. Da kann man ältere Dänen dann schon mal schimpfen hören, wenn sie von jungen Leuten hören, die mit einer Tüte Chips, XBOX, iPad oder beim Videos gucken auf dem Sofa ganz alleine „hyggen“. “So etwas”, sagen sie dann “ist doch nicht hyggeligt!“
Freunde und Bekannte, die sich nach einem „gemütlichen Beisammensein“ (wie krampfhaft klingt das “Hyggen” doch im Deutschen) am nächsten Tag begegnen, sagen dann, dass es gestern „hyggelig“ gewesen sei. Oder: Ein netter Mensch kann ein „hyggeliger“ Kerl sein. Und „Hygge“ bedarf in Dänemark immer des Scheins von Kerzen. Dänen sind verrückt nach Kerzenlicht, im Haus, im Café, in Bars und Restaurants, um so die glatten, weißen Wände kompromisslos weicher wirken zu lassen. Ich hoffe einigermaßen verständlich vermittelt zu haben, dass „Hygge“ durchaus glücklich machen kann.
Es gibt aber da noch etwas, was dem Glück der Dänen Fundament gibt. Etwas, was man auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so sympathisch findet und als kleinen, grauen Fleck auf der sonst blütenweißen, dänischen Weste missverstehen könnte (und ich nutze ganz bewusst den Konjunktiv, denn der erste Anschein trügt gewaltig). Es gibt in Dänemark und generell in Skandinavien ein Phänomen, welches es so sonst nirgendwo gibt – und das ist auch noch schriftlich festgehalten: Gemeint ist das sog. „Janteloven“, auch als “Jante-Gesetz” bekannt. Schon mal davon gehört?
Janteloven
“Janteloven” wurde von dem dänischen Schriftsteller Aksel Sandemose, in seinem Roman „Ein Flüchtling kreuzt seine Spur“, aus dem Jahre 1933, “erfunden”. Das Jante-Gesetz kann man auf einer Gedenktafel, welche am Geburtshaus Sandemoses angebracht ist, bestaunen.
Adresse:
DK-7900 Nykøbing (Mors), Færkenstræde 12
GPS: 56° 47′ 57.26″ N – 8° 51′ 43.97″ O
(Bildquelle: WikiMedia Commons)
Zum Begriff “Jante”: Eine Jante ist im Dänischen ein kleines, altes Geldstück, vergleichbar mit dem “Groschen” im Deutschen. Gemeint ist, dass jeder seine Jante (seinen Groschen) zum Gelingen einer guten Gesellschaft beizutragen hat. Das Jante-Gesetz ist also sozusagen das „Gesetz der recht und gerecht Denkenden“.
Jante, das sind die “Zehn Gebote der dänischen Eintracht”. Eigentlich sind es eher Mahnungen, die man als Däne in Dänemark besser befolgt, wenn man noch Freunde Sein nennen will. Und diese Regeln haben es in sich! Sie lauten (zunächst auf Dänisch):
- Du skal ikke tro, du er noget.
- Du skal ikke tro, at du er lige så meget som os.
- Du skal ikke tro, at du er klogere end os.
- Du skal ikke bilde dig ind, at du er bedre end os.
- Du skal ikke tro, at du ved mere end os.
- Du skal ikke tro, at du er mere end os.
- Du skal ikke tro, at du dur til noget.
- Du skal ikke le ad os.
- Du skal ikke tro, at nogen bryder sig om dig.
- Du skal ikke tro, at du kan lære os noget.
So steht es auf der Tafel am Geburtshaus Sandemoses. Manchmal wird den zehn Jante-Regeln vom Volksmund noch eine elfte hinzugefügt, um den vorherigen besseren Nachdruck zu verleihen (es gehört – wie gesagt – aber nicht zum Jante-Kanon Sandemoses):
- Du tror måske ikke at jeg ved noget om dig?
Dänisch versteht nicht jeder, daher eine grobe, sinnentsprechende Übersetzung:
- Geh nicht davon aus, dass du etwas Besonderes bist.
- Geh nicht davon aus, dass du genauso viel bist wie wir.
- Geh nicht davon aus, dass du klüger bist als wir.
- Geh nicht davon aus, dass du besser bist als wir.
- Geh nicht davon aus, dass du mehr weißt als wir.
- Geh nicht davon aus, dass du mehr bist als wir.
- Geh nicht davon aus, dass du in irgendwas gut bist.
- Du sollst nicht über uns lachen.
- Geh nicht davon aus, dass sich jemand um dich sorgt.
- Geh nicht davon aus, dass du uns etwas lehren kannst.
Und das dazu erfundene, elfte Gebot:
- Geh davon aus, dass wir über Dich so einiges wissen?
Wirkt im ersten Moment heftig, nicht wahr? Das klingt so, als soll jedem, der das liest, erst einmal gründlich der Schneid abgekauft werden. Da soll – so der erste Eindruck – jemand richtig, richtig klein gemacht werden, auf dass er nicht mehr aufmuckt. Und das wirkt auf den Unbedarften zunächst schon etwas befremdlich, fast unsympathisch. So ist das aber nicht und auch nicht gemeint (daher meine einleitenden Hinweise, dass dies nur der Anschein sei).
Das Jante-Gesetz beschreibt vielmehr den soziokulturellen „Code“ des Umgangs der Dänen miteinander und der wird überall im Lande gepflegt – und zwar freiwillig. Das Jante-Gesetz beinhaltet im Grunde eine Wegweisung und dringende Empfehlung, dass sich erstens niemand über andere erheben sollte: Der Chef nicht gegenüber seine Mitarbeiter, der Professor nicht über seine Studenten, der Klassenprimus nicht über seine Mitschüler. Zweitens sind es Empfehlungen für ein Verhalten, das zur Fähigkeit, sein Leben ohne von anderen abhängig zu sein, leben zu können. Und so werden auch die Kinder von klein auf bereits erzogen. So ultrafrei sie sich bewegen und toben dürfen, so viel Wert legt man auf ein faires udn verantwortungsbewusstes Miteinander schon von Kindesbeinen an. Man will ein einig Volk von Gleichen unter Gleichen sein und letztlich ist Janteloven etwas, was wir im Deutschen – auch wieder nur vage – mit „Respekt voreinander haben und leben ohne anderen eine Last zu werden“ umschreiben können. Doch auch das trifft es nicht wirklich genau.
Das Jante-Gesetz idealisiert auch in gewisser Weise “die Mitte”, das Mittelmaß (eine der Mahnungen im Tempel zu Delphi lautete „Die Mitte ist das Beste“). Wer über das Mittelmaß hinausstrebt, ja, wer schon allein den Vorsatz hat, das Mittelmaß ggü. anderen übersteigen und damit protzen zu wollen, der kann sich unter Dänen sehr schnell in sozialer Ächtung wiederfinden… und zwar sehr konsequent!
Das heißt nicht, dass es nicht klügere, leistungsfähigere, mit mehr Macht ausgestattete Mitmenschen geben darf, das schon, natürlich! Dänemark ist auch eine Leistungsgesellschaft. Aber persönliche Ausstattungen haben im Umgang miteinander absolut keine Bedeutung. Der Geringste genießt nicht weniger Ansehen als der Reichste, der Arbeiter nicht weniger als der Konzernchef, der Soldat nicht weniger als der Major usw. So ist das Jante-Gesetz eben auch ein Appell an die Zurückhaltung, an die Mäßigung, ans Maßhalten und letztlich an das Ideal der Gleichheit – nicht im Sinne deutscher Sozialisten materiell, sondern in der gegenseitigen Achtung und Wertschätzung. – Arroganz und Anmaßung haben in so einem Klima nichts zu suchen, wer es dennoch wagen wollte, würde schnell auf den Boden einer für ihn dann bitteren Realität zurückgeholt.
So wird man auf dänischen Visitenkarten kaum je akademische oder gar adelige Titel finden, wie sie unsere deutschen Damen und Herren Professoren und Doktoren, Freiherren und Grafen doch ach so gerne vor sich hertragen und auch allerlei gesellschaftliche Vorteile daraus zu ziehen verstehen. Nein, Titel bedeuten im gesellschaftlichen Umgang in Dänemark gar nichts. Sie können deshalb auch nicht als sog. “Reputationsverstärker” wirken wie bei uns. Akademische Titel sind in Dänemark nur ein Nachweis, dass da jemand schon wissenschaftlich gearbeitet hat. Das kann für bestimmte Berufe Voraussetzung sein. Diese Titel sind in Dänemark lediglich Qualifikationsnachweise, wie etwa das Abiturzeugnis; – und das hat ja auch niemand auf der Visitenkarte stehen. Deshalb muss sich in Dänemark auch niemand als Plagiator so einen Titel ergaunern, nur, um sich mehr Geltung zu verschaffen. Mehr noch: Wer gar noch auf eine Anrede mit einem akademischen Titel bestünde, hätte sich augenblicklich selbst und nur schwer wieder entfernbar das Etikett “Voll-Arschloch” ans Revers geheftet und sich damit dann allerdings einen Titel “verdient”, den er gerne führen darf. – Nur eine einzige Ausnahme wird von der Titelabstinenz gemacht und das wiederum sehr lustvoll: bei Ihrer Majestät dem König von Dänemark, Frederik X. und seiner Gemahlin.
Die Jante-Regeln können also ganz schön hart sein, wenn man sie missachtet. Und kein Geringerer als Hans-Christian Andersen wurde z.B. Opfer des Jante-Gesetzes. Sein Durchbruch gelang ihm nämlich zuerst nur in Deutschland. Er galt als Prophet im eigenen Land zunächst gar nichts. Erst viel später wurde Andersens Genialität auch in Dänemark gewürdigt.
Jante ist wohl auch für die sehr sympathische Neigung, sich sehr schnell nach dem Kennenlernen zu Duzen, verantwortlich. Wer allerdings die Ehre des Angebots geduzt zu werden verschmäht und danach noch auf die förmliche Anrede bestünde, wäre schnell wieder “unten durch”. Er erhöbe sich damit ja über die anderen und verdiente sich so ebenfalls augenblicklich das genannte “Papperl” am Revers. Jante hat also gewaltigen Einfluss auf die gesamte Gesellschaft und auch auf das politische System!
Was bei dünnen Mehrheiten in Koalitionen in Deutschland fast immer als „fauler Kompromiss“ verunglimpft wird, hat in Dänemark Methode, ist dort Normalität: nämlich der Konsens. Es kam relativ oft vor, dass in Dänemark Minderheitsregierungen mit wechselnden Mehrheiten regieren mussten (etwas, das in Deutschland als sehr gefürchtetes Worst-Case-Szenario gilt. Minderheitsregierungen werden hierzulande als „unmöglicher“ Zustand gefürchtet, wie vom Teufel das Weihwasser, darum gab es hier auch noch nie eine solche – leider!).
Für die Dänen ist das kein Problem. Man nähert sich eben einander so lange an, bis über alle Parteien hinweg eine für die Mehrheit erträgliche, vom Konsens getragene Lösung gefunden wird. Dabei lernt man, auf die Durchsetzung ideologischer Maximalforderungen zu verzichten. – Ein Tohuwabohu wie beim Heizungsgesetz 2023 in Deutschland, wird man in Dänemark deshalb eher nicht erleben.
Ich bin mir sicher, “Janteloven” und “Hygge” sind das eigentliche Geheimnis der glücklichen Dänen.
Ich stelle mir vor, “Jante” hätte im Land des Neids und der Missgunst, im Land der Rivalen und Ellenbogen, also in Deutschland, auch eine Chance. Wäre das überhaupt denkbar? – Schön wäre es durchaus.
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